Tausende von Spiegeln | Über eine Ikone des Neuen Deutschen Films – geschrieben von einer Legende des Pop-Journalismus (edition suhrkamp)
„Fassbinder: Tausende von Spiegeln“ von Ian Penman ist eine außergewöhnliche Hommage an den legendären Filmemacher Rainer Werner Fassbinder. Der englische Kulturjournalist und Popkritiker Penman hat eine einzigartige Mischung aus biografischen Fragmenten, Erinnerungen und kulturhistorischen Reflexionen geschaffen, die den Leser auf eine facettenreiche Reise durch das Leben und Werk des kontroversen Regisseurs mitnehmen. Bereits kurz nach Fassbinders frühem Tod im Jahr 1982, als der Filmemacher gerade einmal 37 Jahre alt war, plante Penman ein Buch über ihn zu schreiben. Doch erst 40 Jahre später, 2022, griff er diesen Plan wieder auf. Das Ergebnis ist ein fesselndes Werk, das Fassbinders einzigartige Persönlichkeit und seinen künstlerischen Einfluss auf die deutsche und internationale Filmszene reflektiert.
Penman nähert sich Fassbinder in einer unkonventionellen, fragmentarischen Form an, die weder einer klassischen Biografie noch einer streng chronologischen Erzählung folgt. In 450 durchnummerierten Absätzen, oft nur wenige Zeilen lang, fängt er die Essenz eines Mannes ein, der ein unermüdlicher Schöpfer von Filmen war und dessen Arbeit noch heute weltweit Anerkennung findet. Filme wie „Angst essen Seele auf“ und „Die Ehe der Maria Braun“ sind nur einige Beispiele seines Schaffens, die Penman in seinem Buch untersucht. Dabei beleuchtet er nicht nur die ästhetische Dimension von Fassbinders Filmen, sondern auch deren politische und soziale Relevanz in einer „Fassbundesrepublik“, die mit ihrer verdrängten Vergangenheit, Paranoia und radikalen künstlerischen Experimenten kämpfte.
Einer der faszinierendsten Aspekte des Buches ist Penmans vergleichende Darstellung von Fassbinder als eine Ikone seiner Zeit, ähnlich wie Baudelaire für Walter Benjamin eine war. Fassbinder verkörpert für Penman eine späte Phase der Moderne, eine Ära, die bereits die nächste Generation von Künstlern träumt und vorwegnimmt. Mit einem geschulten Auge für Detail und Subtext interpretiert Penman die zentralen Themen und wiederkehrenden Motive in Fassbinders Werk, die von Liebe, Macht, Unterdrückung bis hin zur gesellschaftlichen Entfremdung reichen.
Darüber hinaus liefert Penman auch tiefgehende Analysen zu Fassbinders Charakter. Er beschreibt die Dringlichkeit und Getriebenheit, mit der Fassbinder arbeitete, aber auch den „narzisstischen Missbrauch“ seines Teams. Trotz der räumlichen und zeitlichen Distanz bleibt Penman stets nah an seinem Thema und versteht es, Fassbinders widersprüchliche Persönlichkeit authentisch darzustellen. Besonders bemerkenswert ist seine Analyse von Fassbinders queerer Identität und deren Einfluss auf sein Werk. Der Regisseur wird von Penman als Gegenstück zur Mainstream-Gay-Kultur seiner Zeit interpretiert – ungeschliffen, rebellisch und oft jenseits der gesellschaftlichen Normen.
Penman gelingt es, mit „Fassbinder: Tausende von Spiegeln“ ein vielschichtiges Porträt eines Mannes zu zeichnen, dessen Schaffen tief in der deutschen Nachkriegsgeschichte verankert ist und der zugleich einen universellen Einfluss auf die Filmwelt hatte. Seine Betrachtungen sind geprägt von fundiertem Wissen und persönlicher Faszination. Durch zahlreiche Verweise auf andere Künstler und Intellektuelle – von Robert Musil bis Bertolt Brecht – wird das Buch zu einer kulturellen Schatzkammer, die nicht nur Fassbinder-Fans, sondern auch Film- und Kunstinteressierte ansprechen dürfte. Dabei bleibt Penman stets bescheiden in seinen Deutungen und lässt Raum für Interpretation.
Fassbinder, so stellt Penman fest, polarisiert bis heute. Seine Filme und seine Persönlichkeit sind gleichermaßen Gegenstand der Bewunderung und der Ablehnung. Doch gerade in dieser Widersprüchlichkeit liegt seine Genialität. Penman zeigt, dass Fassbinder als Filmemacher und Persönlichkeit noch immer eine zentrale Rolle in der Diskussion über moderne Kunst und Film einnimmt und verdient wiederentdeckt zu werden.