Das Buch „Das homosexuelle Begehren“ von Guy Hocquenghem ist ein bahnbrechendes Werk, das erstmals 1972 veröffentlicht wurde und nun endlich in einer Neuauflage erhältlich ist. Der Autor, ein junger Philosoph, Trotzkist und Schwulenaktivist, war zu dieser Zeit erst 25 Jahre alt. In seinem Buch fordert Hocquenghem ein radikales Umdenken in Bezug auf Geschlecht, Begehren und Sexualität, das über binäre Denkmuster und die psychoanalytische Theorie des „ödipalen Dreiecks“ hinausgeht.
Zentrale Thesen des Buches sind, dass es keine feste und stabile (sexuelle) Identität gibt, sondern nur ein universelles Begehren. Hocquenghem kritisiert skeptisch jegliche Vorstellungen von „Normalität“ und stellt sich gegen die liberale Ideologie, die Homosexualität zwar toleriert, aber als isoliertes „Minderheiten-Phänomen“ betrachtet. Seine Arbeit stellt eine radikale Kritik der gesellschaftlich tief verwurzelten Homophobie dar und appelliert gleichzeitig an die LGBTQ+-Bewegung, sich nicht von liberalen Integrationsversprechen blenden zu lassen, die eine Fixierung des Begehrens auf eine „homosexuelle Identität“ verlangen. Stattdessen sieht er die Aufgabe der homosexuellen Emanzipationsbewegung darin, nicht nur die eigene Befreiung zu erkämpfen, sondern die Befreiung der Sexualität aller Menschen zu unterstützen.
Guy Hocquenghems Werk hatte einen enormen Einfluss auf die soziologische Debatte in Frankreich und hat auch Schriften von Didier Eribon und das Hauptwerk von Michel Foucault, „Histoire de la sexualité,“ stark beeinflusst. Diese Neuauflage schließt eine wichtige Lücke im deutschsprachigen Diskurs und bietet Leserinnen und Lesern die Gelegenheit, sich mit den wegweisenden Ideen und Ansichten dieses bedeutenden LGBT-Aktivisten und Philosophen auseinanderzusetzen.